„Hingabe den Farben“ und „Widerstand den schnellen Lösungen“
Wagenfeld. Von Simone Brauns-Bömermann. „Denken in Farbe“, „Ich liebe die Magie der Steine“, „Die Position der Farbe erkennen“, das sind die Kernaussagen ihres künstlerischen Schaffens der drei Frauen der neuesten Kunstausstellung im Dienstleistungszentrum (DLZ) Wagenfeld. Die wurde am Donnerstagabend festlich als Jubiläumsausstellung für zehn Jahre Kunst und Kultur im DLZ (wir berichteten) eröffnet.
Mit dem Titel „Malerei und Skulpturen“ hält sie sich genau so offen für den Betrachter, wie die Werke von der Diepholzer Künstlerin Carola Ludewig und ihre fast informelle Malerei, die monochromen Werke der Berliner Malerin Gabriele Wiesike und der aus Weyhe stammenden Bildhauerin Ursel Wunsch-Bertram.
Alle drei Künstlerinnen eint die Grundgesinnung: Freiheit, abstrakte Formensprache und das Material als Inspirationsquelle zu begreifen.
„Man sieht, was man sieht“, das schlaue Wort wählte Laudator für die Malereien von Ludewig und Wiesike Giselher Ruks aus Berlin. Er stammt aus dem engen Freundeskreis der beiden Künstlerinnen, die sich regelmäßig in Lehnin zum Kunstschaffen treffen. Ruks Druckerei produziert Kunstdrucke für den Kunstmarkt, seine Affinität programmiert.
„Kein konkretes Motiv zu entdecken“
„Sie werden bei beiden Künstlerinnen kein konkretes Motiv entdecken, obschon sie eines hatten im Kopf“, erläutert er die Werke der Malerinnen. „Sie bekommen auch keine Sehhilfen gestellt in Form von Titeln.“ Carola Ludewig sage von sich selbst „Ich bin ein bisschen besessen. Meine Malerei ist Energiequelle, Malerei ist Denken in Farbe.“ „Carola fotografiert gerne“, weiß der Freund Ruks. „Bei ihr wird jeder beliebige Gegenstand zur grenzenlosen Malfreude, abstrahiert oder halbabstrahiert.“ Ludewigs Stil sei kraftvoll und selbstbewusst und doch sensibel. Betrachtet man die neuesten Werke von ihr, unterscheiden sie sich erneut von den älteren: Sie saugte Formen, intensive Farben und die Komposition beider zueinander von einem Afrikaaufenthalt ein. Das spiegelt sie in ihren expressiven Malereien.
Die angeworbene Freundin aus Berlin, Gabriele Wiesike, stellt die existenzielle Frage: „Wie viel Schönheit brauche ich?“. Ruks sieht die Antwort in ihren monochromen Werken mit viel Haptik, Struktur und endlos wirkenden Farbschichten. „Sie arbeitet sich von der Fülle zur Einfachheit.“ Sie suche die Position der Farbe und wolle die Materialität der Farbe erfahren. „Gaby lotet das Verhältnis von Aggression und Schönheit aus.“ Ihre Bilder in Grün und in Betongrau erinnerten an Betonschalung der 1960er Jahre oder an verwittertes Holz in Stülpschalung einer Hütte im Süden der USA. Manchmal wie Spachtelputz, Wachskratzarbeiten oder archäologisch freigelegte Farbschichten. „Beide Künstlerinnen sind von der Kraft der Farben angefasst“, interpretiert Ruks die Eruptionen. Wiesike will freie Malerei ganz begreifen: Sie studierte aktuell im Studiengang Zeichnung, Objekt, Raum, an der Akademie der Bildenden Künste in Kolbermoor bei Sati Zech. Ihr erstes Studium der Malerei absolvierte sie ab 1977 in Berlin.
Über die dritte Künstlerin Ursel Wunsch-Bertram, deren Skulpturen aus ihrem Lieblingsstein Marmor und Alabaster in Reinform thronen, schrieb die beste Freundin Elisabeth Fitting: „Meine Freiheit ist auch deine Freiheit, so zu sein, wie wir sind“ und bezieht sich auf die These „Frei wie ein Stein sein“.
Organische Formensprache entwickelt
Die in endlosen Stunden, Monaten bearbeiteten Steine, in bewusster Langsamkeit dem Kern des Steins noch fern, nähert sie sich dem Kern akribisch. „Und weil ich als größter Bewunderer und Kritiker nicht die Laudation auf meine Ehefrau Carola Ludewig halten kann, beschreibe ich Ursel“, beginnt Dr. Geert Ludewig die Einführung der Künstlerin. „Als Biologin entwickelte sie eine organische Formensprache, unter ihrer Hand kommt der Stein in Schwingung.“ Es gelingt Wunsch-Bertram, die Ehrfurcht des Alters ihrer Steine, den Widerstand während der Bearbeitung, das Sperren gegen schnelle Lösungen beim Steinmetzen zu transportieren. Am Ende eines langen, aber notwendigen Weges, entstehen „Perlen“ in Stein. Ein Ginkgo-Blatt, eine Möbius-Schleife oder das Werk „Verbindung“ aus spanischem Marmor.
„Meine Mutter war die Künstlerin, mein Vater der Exakte. Ich hoffe, Sie erkennen beide Einflüsse bei mir“, erläutert die Künstlerin selbst und bedankt sich bei Marie Fischer, ihrer Lehrerin und Freundin, für das Einführen in die Maschinenkunde. „Im neuen Atelier in Bremen kann ich nun mit der Flex zu jeder Tages- und Nachtzeit Krach machen und dem Stein näherkommen, ihn herausschälen.“
Für die Musik verbürgten sich Michael Mikolaschek (Piano) und Rainer Wördemann (Saxophon) mit ebenso freien Variationen. Die Ausstellung läuft bis zum 14. September.
Text & Bilder: Simone Brauns-Bömermann, Quelle: Kreiszeitung vom 12.06.2017